Donnerstag, 15. September 2016

Textkritik: Der Hahnenschrei und die Verleugnung des Petrus


Peter Jan Brandl via wikicommons
1) Die Geschichte über die Verleugnung des Petrus erzählen die synoptischen Evangelien in drei Schritten. Zunächst kündigt Jesus die Verleugnung sowie das Krähen des Hahns an, späterhin kommt es dann zur dreifachen Verleugnung durch Petrus mit Hahnenschrei und anschließend erinnert sich Petrus an die Prophezeiung von Jesus.

Im Unterschied zu den drei anderen Evangelien schildert Markus jedoch, dass der Hahn zweimal gekräht und Jesus dies auch so angekündigt habe. Dieser Unterschied führt gern zu Diskussionen darüber, wie es nun „wirklich“ war oder warum die anderen Evangelien in diesem Detail alle von Markus abweichen.


Nicht weniger interessant erscheint die Textgeschichte des Markusevangeliums. Von den sechs ältesten Bibeln, die heute noch erhalten sind und das 14. Kapitel des Markusevangeliums beinhalten, stimmt nämlich nur eine einzige in den maßgeblichen Punkten mit dem Text überein, den wir heute in unseren modernen Bibelausgaben lesen: der Codex Alexandrinus aus dem 5. Jahrhundert. In der Mehrzahl dieser Codizes wird die Ankündigung von Jesus hingegen wie in den anderen Evangelien erzählt. Nur ein Hahnenschrei ist prophezeit.

Das wirklich Erstaunliche sind jedoch die inneren Widersprüche in diesen alten Bibeln. In dem einen Codex wird etwa nur ein Hahnenschrei angekündigt, dann geschehen aber tatsächlich zwei. Ebenso existiert die umgekehrte Variante. So wenig diese alten Bibeln in dieser Geschichte mit unserer heutigen Fassung des Markusevangeliums harmonieren, so wenig stimmen sie auch untereinander überein. Alle möglichen Spielarten bestehen und ein klares Bild ist nicht zu gewinnen. Erst ab dem Mittelalter enthält die eindeutige Mehrheit der Bibelhandschriften die Erzählung in der uns bekannten Form. Die Abbildung zeigt, in welchen Punkten diese alten Codizes mit der uns geläufigen Fassung (obere Zeile) übereinstimmen (grün markiert) und in welchen nicht (gerötet). Ich habe zusätzlich den Codex Regius aus dem 8. Jahrhundert aufgenommen, der nochmal eine eigene Variante aufweist.


2) Obwohl eine Reihe namhafter Bibeltextforscher davon ausgeht, dass unsere moderne Textfassung nicht dem Originaltext entspricht, bin ich selbst anderer Meinung. Grund hierfür ist, dass unser überlieferter Text etwas enthält, was man als einen kleinen Widerspruch bezeichnen könnte. Meiner Meinung nach liegt deshalb die Vermutung nahe, dass gerade wegen diesem „Widerspruch“ die anderen Evangelisten von Markus abwichen, dass aber auch die verworrene Texttradition hierdurch entstanden ist.