Mittwoch, 10. August 2016

Der Mensch mit der verdorrten Hand und die Steuern für Cäsar


1) Man würde wohl eher nicht vermuten, dass zwischen der Erzählung von der Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand (Mk 3:1ff) und der Frage nach den Steuern für Cäsar (Mk 12:13ff) ein sehr enger Zusammenhang besteht. Wenn man sich in die Einzelheiten vertieft, sind die Verbindungen zwischen beiden Perikopen des Markusevangeliums jedoch offensichtlich.

Eine "verdorrte" Hand?
Die Ausgangslage
Die „Herodianer“ kommen als Personen und als Wort nur in diesen beiden Perikopen vor (Mk 3:6, 12:13) und werden jeweils gemeinsam mit den Pharisäern genannt. Die Gegner versuchen beide Male, Jesus in eine Falle zu locken, die sich um eine Rechtsfrage dreht. (Mk 3:2 Und sie lauerten auf ihn, ob er ihn am Sabbat heilen würde, damit sie ihn anklagen könnten. - Mk 12:13 Und sie senden einige der Pharisäer und der Herodianer zu ihm, um ihn in der Rede zu fangen.)

Die Durchführung
In beiden Perikopen wird eine Frage gestellt, welche mit „Ist es erlaubt …(ξεστιν – Exestin) beginnt, es handelt sich jeweils um eine „oder“-Frage und sie enthält eine Art Wiederholung. (Mk 3:4 Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, das Leben zu retten oder zu töten? Mk 12:14 Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben oder nicht? Sollen wir sie geben oder nicht geben?)
via wikimedia: Denar mit Abbild des göttlichen Cäsar

In der ersten Perikope steht ein einzelner Fall zu Diskussion (Heilung dieses Menschen am Sabbat), aber Jesus verteidigt sich mit einer allgemeinen Rechtsfrage („Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun …“). In der zweiten Perikope wird eine allgemeine Rechtsfrage aufgeworfen („Ist es erlaubt, Steuern zu zahlen …“), aber Jesus entscheidet sie an einem einzelnen Fall ("Bringt mir einen Denar, damit ich ihn sehe! … Wessen ist dieses Bild und die Aufschrift? Sie aber sagten … Des Kaisers.")

Das Ergebnis
Jesus’ Gegner sind in beiden Perikopen auf „menschliches“ Recht fokussiert, verstoßen dabei aber gegen die 10 Gebote. In der ersten Erzählung beschließen sie, Jesus zu töten, in der zweiten bringen sie einen römischen Denar mit dem Abbild des „vergöttlichten“ Cäsar in den Tempel und entweihen damit das Heiligtum.


2) Meines Erachtens ist diese sehr sorgfältige Gestaltung von Markus kein bloßes Spiel. Mir scheint, dass das Verständnis der einen Perikope für den Leser hilfreich ist, um die jeweils andere besser zu verstehen und dabei vor allem einen bestimmten Punkt, der nicht sofort offensichtlich ist.

Meinem Eindruck nach soll der Leser der Erzählung von der Heilung der verdorrten Hand nämlich verstehen, dass die Hilfebedürftigen der Geschichte auch die Pharisäer sind und dass das Heilshandeln von Jesus auch auf diese gerichtet ist.

2.1) Markus schildert die Kranken in seinen Heilungsgeschichten sehr unterschiedlich. Über manche erfährt der Leser viele einzelne Details, zuweilen auch ihre Gedanken und Gefühle (etwa bei der blutflüssigen Frau in Mk 5:25ff oder dem besessenen Gerasener in Mk 5:2ff). Andere sind hingegen nicht näher beschrieben, sondern nur sehr abstrakt dargestellt. Zu letzteren gehört auch der Mensch mit der verdorrten Hand. Man erfährt über ihn eigentlich nur, dass dieser Mensch „da“ ist, zwei Mal, dass er eine verdorrte Hand hat, und er diese auf ein Kommando von Jesus ausstreckt und sie „wiederhergestellt“ wurde.

Die Aufmerksamkeit der Pharisäer scheint allein auf Jesus gerichtet zu sein und die Gefühle von Jesus beziehen sich allein auf seine Gegner und nicht auf den Menschen mit der verdorrten Hand.

In der Darstellung von Markus erscheint der „Mensch“ jedenfalls mehr oder weniger auf seine „verdorrte Hand“ reduziert.

2.2) In der Bibelwissenschaft wird häufig gefragt, was Markus mit dem Ausdruck „verdorrt“ oder „verwittert“ habe sagen wollen. Meist wird dabei eine Lähmung der Hand angenommen (, obwohl Markus den korrekten Ausdruck für „gelähmt“ bereits bei der Heilung des Gelähmten in Mk 2:1 verwendet). Die hebräische Bibel kennt jedoch einen anderen Fall einer verdorrten Hand und zwar im 1. Buch der Könige 13:4ff

Und es geschah, als der König das Wort des Mannes Gottes hörte, das er gegen den Altar in Bethel ausgerufen hatte, da streckte Jerobeam vom Altar herab seine Hand aus und sagte: Packt ihn! Da verdorrte seine Hand, die er gegen ihn ausgestreckt hatte, und er konnte sie nicht wieder an sich ziehen. … Da hob der König an und sagte zu dem Mann Gottes: Besänftige doch das Angesicht des HERRN, deines Gottes, und bete für mich, dass ich meine Hand wieder an mich ziehen kann! Und der Mann Gottes besänftigte das Angesicht des HERRN, und die Hand des Königs wurde ihm wiedergegeben und wurde wie vorher.

Die verdorrte Hand von König Jerobeam ist in dieser Geschichte eine Strafe Gottes dafür, dass er den Propheten, der als „Mann Gottes“ bezeichnet wird, ergreifen lassen will. In der Erzählung tauchen zwei Elemente auf, die auch Markus verwendet: die  „ausgestreckte“ und die „verdorrte“ Hand. Markus verwendet für beide auch die gleichen griechischen Wörter, wie sie in der Septuaginta stehen. Auch in der Erzählung von Markus wollen die Pharisäer Jesus „ergreifen“.

2.3) Mein Eindruck ist deshalb, dass die verdorrte Hand in der Erzählung von Markus zugleich das Sinnbild einer Gottesstrafe ist, möglicherweise genau der, die die Pharisäer zu befürchten haben, da sie ebenfalls einen Mann Gottes verfolgen.

Dieses Sinnbild steht ihnen gewissermaßen vor Augen, aber sie nehmen es nicht wahr, weil ihre Aufmerksamkeit allein darauf gerichtet ist, Jesus eines Rechtsbruchs überführen zu können - Mk 3:2 "… und sie lauerten auf ihn, … damit sie ihn anklagen könnten."

Im Fortgang der Erzählung führt Jesus den Pharisäern dieses Sinnbild deshalb deutlicher vor Augen - Mk 3:3 „Und er spricht zu dem Menschen, der die verdorrte Hand hatte: Steh auf und tritt in die Mitte!“

Das von Jesus nunmehr vorgebrachte Argument scheint als Rechtfertigung der Heilung des „Menschen“ am Sabbat eher schwach, da die Frage einer Lebensrettung oder einer Tötung im Hinblick auf den Menschen mit der verdorrten Hand nicht im Raum steht - Mk 3:4 „Und er spricht zu ihnen: Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, das Leben zu retten oder zu töten?“ Als Mahnung an die Pharisäer, zur Einsicht zu kommen und von ihrem Plan abzulassen, wirkt es hingegen stark, und passt sehr gut zu den Mordabsichten der Pharisäer.

Auch die gemischten Gefühle von Jesus zeigen, dass ihm die Pharisäer nicht egal sind, insbesondere sein Mittrauern über die – im griechischen Original – „Versteinerung“ ihrer Herzen – Mk 3:4,5 „Sie aber schwiegen. Und er blickte auf sie umher mit Zorn, betrübt über die Verhärtung ihres Herzens …

Mit der Heilung des Mannes wird den Pharisäern die Macht Gottes, die sich auch gegen sie richten könnte, nochmals eindringlich vor Augen geführt. Gleichwohl sind diese nicht von ihrem Plan abzubringen – Mk 3:5,6 „… und spricht zu dem Menschen: Strecke die Hand aus! Und er streckte sie aus, und seine Hand wurde wiederhergestellt. Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten mit den Herodianern sofort Rat gegen ihn, wie sie ihn umbringen könnten.

Das Geschehen spiegelt die Rechtsfrage von Jesus wieder und dass er sich selbst an ihr misst: Soll man am Sabbat Leben retten oder töten? Während Jesus versucht, „Leben zu retten“, indem er die Pharisäer zur Umkehr vor dem drohenden Gottesgericht zu bewegen sucht, sind diese zum Töten bereit, in dem sie mit den Herodianern beschließen, Jesus umzubringen.

Matthäus und Lukas haben diese Erzählung von Markus in wesentlichen Punkten verändert. In ihren Versionen wird wirklich „nur“ noch ein Heilungswunder und eine religiöse Sabbatstreitfrage erzählt, in denen Jesus und die Pharisäer sich als banale Gegner von Gut und Böse gegenüberstehen und Jesus „siegt“. Markus weiß jedoch nicht nur in dieser Geschichte auch von einem Scheitern von Jesus an den „Menschen“ zu berichten.


3) In beiden benannten Perikopen des Markusevangeliums besteht das Problem der Pharisäer und Herodianer darin, dass sie „irdisches“ Recht für das allein maßgebliche halten und Gott bei ihrem Handeln vergessen.

Bei der Frage nach den Steuern für Cäsar entgeht Jesus der Fangfrage seiner Gegner, indem er sich den ihm gebrachten Denar näher anschaut und danach fragt, wessen Abbild und Aufschrift dies ist. Dort lautet die Antwort beide Male: Cäsar (bzw. "Kaiser" - in den meisten deutschen Übersetzungen)

Wenn man sich die verdorrte Hand näher anschaut, erkennt man gleichermaßen, dass sie einem irdischen König aus dem Buch der Könige gehört (wie es bereits in der Antike genannt wurde). Es ist ein von Gott „gezüchtigter“ König.

Auf dieser biblischen Schriftgrundlage sollte wiederum die Antwort nicht schwer fallen, wem in Mk 12:17 in erster Linie die Ehre zu geben ist: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!

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