Montag, 7. September 2015

Als "Petrus" das Markusevangelium rettete ...


1) Als im 3. Jahrhunderts n.Chr. die Kirchenväter und christlichen Schriftsteller aus den Evangelien zitierten, entfielen laut Brenda Schildgen im Verhältnis der Evangelien untereinander etwa 12 Zitate auf Matthäus, 7 Zitate auf Johannes, 4 auf Lukas und ein Zitat auf Markus. Soweit dies aus den Quellen nachvollzogen werden kann, kamen bei der Lesung von Evangelientexten im Gottesdienst zu jener Zeit auf eine Lesung von Markus etwa 16 Lesungen von Matthäus und 16 Lesungen von Johannes. Unter den in Teilen noch erhaltenen Handschriften der Evangelien aus den ersten drei Jahrhunderten n.Chr. befinden sich nach Larry Hurtado Dutzende von Matthäus, 16 von Johannes und 7 von Lukas. Die eine erhaltene Handschrift von Markus (Papyrus 45) wird selbst vom apokryphen Thomasevangelium übertrumpft, das auf Reste von drei Handschriften verweisen kann. Das Markusevangelium „überlebte“ in jenem Jahrhundert am Rande, während im Zentrum des katholischen Denkens vor allem Matthäus sowie Johannes standen und Lukas mit seiner Geburtsgeschichte reges theologisches Interesse genoss.

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Zur Frage, wie dem Markusevangelium im 3. Jahrhundert n.Chr. das Überleben und sogar der Sprung ins Neue Testament gelang, gab Hurtado vor gut zwei Jahren folgenden Tipp ab: „For my money ... the early association of GMark with the Apostle Peter was likely at least one major factor.“ Prof. Hurtado bezog sich dabei auf die kirchliche Überlieferung, nach der Markus der „Dolmetscher“ oder „Interpret“ von Petrus gewesen sei. Unter dem Schutz der Autorität des großen Apostels, die die Christenheit im 3. Jahrhundert Petrus beimaß, sei das Markusevangelium letztlich unantastbar gewesen.

Michael J. Kok hat in seinem in diesem Jahr erschienen Buch „The Gospel on the Margins: The Reception of Mark in the Second Century“ und seiner 2013 verfassten Dissertation diese Randständigkeit des Markusevangeliums untersucht und das Entstehen jener Überlieferung, wonach Markus angeblich ein Mitarbeiter von Petrus gewesen sei.

Ausgangspunkt von Kok's Überlegungen ist zunächst, dass die kirchliche Überlieferung über Markus als „Interpret“ oder „Dolmetscher“ von Petrus nicht zutreffend, sondern eine bloße Fiktion ist. Über die Einzelheiten mag man streiten, doch wer das Markusevangelium einmal gelesen hat, sollte verstanden haben, dass Markus von Petrus und den „Zwölf“ (Aposteln) insgesamt ein negatives Bild zeichnet, in welchem die Jünger von zunächst in die Nachfolge Berufenen, zu unverständigen Jüngern und schließlich zu Deserteuren werden. Kok schreibt (mit Horsley übereinstimmend): „As the plot unfolds, the Twelve repeatedly demonstrate themselves to be inadequate representatives of the kingdom movement and regress from disciples to deserters of Jesus. … In Horsley’s reading, Peter and the Twelve deserted the social ideals of Jesus as Mark understood them.


2) In welchen Schritten und zu welchem Zweck wurde aber dann die Behauptung in die Welt gesetzt, dass Markus ein Mitarbeiter von Petrus gewesen sei?

- Chronologisch ist ein Mann namens Markus in den christlichen Schriften das erste Mal im Brief von Paulus an Philemon greifbar und zwar als Mitarbeiter von Paulus - Phlm 1,24: „Es grüßt dich Epaphras, mein Mitgefangener in Christus Jesus, Markus, Aristarch, Demas, Lukas, meine Mitarbeiter.

Alsdann wird ein Markus im Kolosserbrief und im 2. Brief an Timotheus erwähnt, die - nach wohl überwiegender Meinung der Bibelwissenschaft – nicht von Paulus selbst stammen sollen - Kol 4,10: „Es grüßt euch Aristarch, mein Mitgefangener, und Markus, der Vetter des Barnabas - seinetwegen habt ihr schon Weisungen empfangen; wenn er zu euch kommt, nehmt ihn auf ...2 Tim 4,11: „Lukas ist allein bei mir. Markus nimm zu dir und bringe ihn mit dir; denn er ist mir nützlich zum Dienst.“ Auch in diesen beiden Schriften begegnet uns Markus als Mitarbeiter von Paulus.

Die ältesten christlichen Schriften, die Paulinen, beschreiben einen Markus also als „Mitarbeiter“ von Paulus. Im Griechischen lautet das Wort „συνεργός“ (sunergos) – ein „Zusammen-Werkender“ oder „gemeinsam Werk-Schaffender“. Diesen Begriff verwendet Paulus in seinen Briefen nie als lapidare Tätigkeitsbezeichnung, sondern stets im Sinne einer würdigenden Auszeichnung und Anerkennung. Es sind Gläubige, die bei der Verkündung des Evangeliums mit Paulus „an einem Strang ziehen“.


- Die wohl zeitlich erste Verschiebung dieses Bildes nimmt die Apostelgeschichte vor, die einen „Johannes mit dem Beinamen Markus“ erwähnt.

Zunächst stellt die Apostelgeschichte in Vers 12,12 eine indirekte Verbindung zwischen Petrus und Markus her und beschreibt in diesem Vers, dass Petrus sich im Haus der Mutter von Markus aufgehalten habe, in dem viele Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde zusammen gekommen seien.

Alsdann berichtet die Apostelgeschichte, dass Paulus und Barnabas nach einem Aufenthalt in Jerusalem Johannes Markus als Begleiter auf die erste Missionsreise mit sich genommen hätten (12,25), dieser sie aber nach einem Aufenthalt in Salamis (13,5) auf dem Weg von Perge nach Paphos verlassen habe (13,13). Späterhin sei es alsdann zu einem Streit und der Trennung von Paulus und Barnabas gekommen, weil Barnabas die Absicht hatte, erneut Johannes Markus als Begleiter auf die zweite Missionsreise mitzunehmen (15,36-41): „Barnabas aber wollte, dass sie auch Johannes mit dem Beinamen Markus mitnähmen. Paulus aber hielt es nicht für richtig, jemanden mitzunehmen, der sie in Pamphylien verlassen hatte und nicht mit ihnen ans Werk gegangen war. Und sie kamen scharf aneinander, sodass sie sich trennten. Barnabas nahm Markus mit sich und fuhr nach Zypern. Paulus aber wählte Silas ...

Die Apostelgeschichte, die zeitlich nach den Paulusbriefen und dem Markusevangelium geschrieben wurde, bestätigt damit zwar eine kurze Teilnahme von Markus auf der ersten Missionsreise des Paulus, behauptet jedoch ein gespaltenes Verhältnis zwischen beiden, weil Markus Paulus und Barnabas angeblich verlassen habe und „nicht mit ihnen ans Werk gegangen war“. Im Griechischen heißt es: „καὶ μὴ συνελθόντα αὐτοῖς εἰς τὸ ἔργον“ (kai mē synelthonta autois eis to ergon), wörtlich übersetzt: „... und nicht zusammengegangen war mit ihnen in das Werk“.

Die Formulierung legt damit Paulus eine Aussage in den Mund, die den Angaben in seinem eigenen Brief an Philemon und in den anderen Paulinen, nach denen Markus ein „Zusammen-Werkender“ (συν-εργός - sunergos) mit Paulus war, direkt zu widersprechen scheint.


- Als wohl chronologisch letzte Schrift innerhalb des Neuen Testaments ist es der 1. Petrusbrief, der eine weitere Korrektur vornimmt und erstmals ganz kurz ein positives - und dazu äußerst inniges - Verhältnis zwischen Petrus und Markus andeutet - 1 Pet 5,13: „Es grüßt euch aus Babylon die Gemeinde, die mit euch auserwählt ist, und mein Sohn Markus.

Die meisten Bibelausleger verstehen in diesem Vers den Begriff Babylon als einen „Decknamen“ für Rom.


- Die wohl älteste Nennung von Markus außerhalb des Neuen Testaments ist als Schrift nicht erhalten geblieben, sondern findet sich lediglich als Zitat in der Kirchengeschichte des Eusebius. Eusebius führt dort einen gewissen Papias an, der – wohl in der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts - die Lehre eines Presbyters überliefert habe, nach der Markus Begleiter und Dolmetscher von Petrus gewesen sei.

Eusebius schreibt (Kirchengeschichte, Buch 3, Kap 39): „Nachdem wir nun die wissbegierigen Leser darauf aufmerksam gemacht haben, halten wir es für unsere Pflicht, außer seinen obigen Bemerkungen nun auch noch die Überlieferung anzuführen, welche er (Anm: Papias) bezüglich Markus, des Verfassers des Evangeliums, aufgezeichnet hat. Er schreibt: 'Auch dies lehrte der Presbyter: Markus hat die Worte und Taten des Herrn, an die er sich als Dolmetscher des Petrus erinnerte, genau, allerdings nicht ordnungsgemäß, aufgeschrieben. Denn nicht hatte er den Herrn gehört und begleitet; wohl aber folgte er später, wie gesagt, dem Petrus, welcher seine Lehrvorträge nach den Bedürfnissen einrichtete, nicht aber so, dass er eine zusammenhängende Darstellung der Reden des Herrn gegeben hätte. Es ist daher keineswegs ein Fehler des Markus, wenn er einiges so aufzeichnete, wie es ihm das Gedächtnis eingab. Denn für eines trug er Sorge: nichts von dem, was er gehört hatte, auszulassen oder sich im Berichte keiner Lüge schuldig zu machen.' So berichtete Papias über Markus.


- Gemäß der herkömmlichen Datierung bekundet alsdann Justin der Märtyrer etwa zwischen 155 – 160 in seinem Dialog mit dem Juden Trypho (Kap. 106) folgendes: „Wenn es heißt, Jesus habe einen der Apostel den Namen Petrus gegeben, und wenn in dessen Denkwürdigkeiten geschrieben steht, dass er außerdem auch noch zwei Brüdern, den Söhnen des Zebedäus, den Namen Boanerges, das ist Donnersöhne, beigelegt habe, so war damit angedeutet, ...

Obwohl Markus hier nicht namentlich erwähnt wird, ist uns die Bezeichnung „Boanerges“ lediglich aus dem Markusevangelium (Mk 3,17) bekannt. Die anderen Evangelisten oder bekannte apokryphe Evangelien erwähnen sie nicht. Die Annahme liegt daher nahe, dass Justin hier über das Markusevangelium spricht, welches er – möglicherweise der Tradition des Papias folgend - als die „Denkwürdigkeiten des Petrus“ bezeichnet.


- Etwa um 180 bestätigt Irenäus von Lyon in seinem Werk „Gegen die Häresien“ die Darstellung von Papias im wesentlichen Punkt (3. Buch, 1. Kapitel, 1): „... als Petrus und Paulus zu Rom das Evangelium verkündeten und die Kirche gründeten. Nach deren Tode zeichnete Markus, der Schüler und Dolmetscher Petri, dessen Predigt für uns auf.


- Schließlich ist es etwa zur gleichen Zeit Clemens von Alexandria, der - nach einem Zitat in der Kirchengeschichte von Eusebius – in seinem verschollenenen Buch „Hypotyposen“ folgendes darlegte (Kirchengeschichte, 6. Buch,Kap. 14): „In den Hypotyposen gibt Klemens, um es kurz zu sagen, gedrängte Auslegungen der ganzen Bibel, … Das Evangelium nach Markus habe folgende Veranlassung gehabt. Nachdem Petrus in Rom öffentlich das Wort gepredigt und im Geiste das Evangelium verkündet hatte, sollen seine zahlreichen Zuhörer Markus gebeten haben, er möge, da er schon seit langem Petrus begleitet und seine Worte im Gedächtnis habe, seine Predigten niederschreiben. Markus habe willfahren und ihnen der Bitte entsprechend das Evangelium gegeben. Als Petrus davon erfuhr, habe er ihn durch ein mahnend Wort weder davon abgehalten noch dazu ermuntert.


Die frühen christlichen Schriften enthalten daher drei Beschreibungen von Markus, sofern die Annahme begründet ist, dass sich alle Erwähnungen eines „Markus“ auf ein und dieselbe Person beziehen.

Die Paulinen zeichnen ihn als wertvollen Mitarbeiter von Paulus, die Apostelgeschichte als Barnabas nahestehend und mit Paulus im gespaltenen Verhältnis, die übrigen Schriften als besonders eng mit Petrus zusammenarbeitend.


3) Michael J. Kok untersucht diese Entwicklung in seinem Buch „The Gospel on the Margins“ sehr sorgfältig und unter Abwägung aller Gesichtspunkte.

Auf die Frage, aus welchem Grund das Bild von Markus letztendlich diese Entwicklung genommen hat, gibt Kok u.a. folgenden Gesichtspunkt zu bedenken. In seinem Buch „Gegen die Häresien“ beschreibt Irenäus von Lyon, dass das Markusevangelium die bevorzugte Lektüre einer frühchristlichen Denkrichtung gewesen sei, die zwischen zwei „Personen“ unterschieden habe: dem menschlichen Jesus und dem himmlische Christus, der in Jesus nur „eingewohnt“ habe (3. Buch, 11. Kapitel, 7): „Die aber Jesum von Christus trennen und behaupten, das Christus leidensunfähig gewesen sei, Jesus aber gelitten habe, berufen sich auf das Evangelium nach Markus; wenn sie jedoch dasselbe mit Liebe zur Wahrheit lesen, können sie sich verbessern.

In der Auseinandersetzung mit jener „Häresie“ habe, so Kok, die junge Kirche das Markusevangelium nicht preisgeben wollen. Zwar habe sie selbst kaum Gebrauch von Markus gemacht, ihn aber wie einen „alten und schönen Zierrat“ verteidigt und deshalb der rechtgläubigen katholischen Autorität des Petrus unterstellt. Weitere Ursachen, die Kok ebenfalls erörtert, mögen dabei nicht ausgeschlossen gewesen sein.

Jedenfalls wurden Petrus und das Markusevangelium „verbandelt“.

Vielleicht gibt es nur wenige Inhalte in der kirchlichen Überlieferung, über die man so sehr schmunzeln kann. Ausgerechnet das Evangelium, in dem Petrus am schlechtesten wegkommt, wird ihm zur Seite gestellt, und ausgerechnet seine - in der Kirche hochgehaltene - Autorität beschützte die gegen ihn opponierende Schrift von Markus. Ich vermag nicht zu erahnen, was Kephas (- der historische Petrus) darüber gedacht hätte. Aber Markus mit seiner feinen Ironie hätte zu guter Letzt wohl doch darüber lächeln können.

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