Dienstag, 7. April 2015

Mk 1,10 - Geisttaufe


Markus unterscheidet sich von den anderen Evangelisten unter anderem dadurch, dass er häufig ein bestimmtes Geschehen aus der Perspektive einer handelnden Person berichtet. Während bei Matthäus, Lukas und Johannes ein gewisses Ereignis „objektiv“ und für jeden sichtbar bezeugt wird, ist dasselbe im Markusevangelium aus dem Blickwinkel „subjektiven“ Erlebens erzählt. Ein schönes der unzähligen Beispiele ist die Geisttaufe in Mk 1,10:
WOW !

Und sogleich
καὶ εὐθὺς
                aufsteigend aus dem Wasser
                ἀναβαίνων ἐκ τοῦ ὕδατος
sah er
εἶδεν

                         sich spaltend die Himmel und
                         σχιζομένους τοὺς οὐρανοὺς καὶ

                         den Geist wie Taube
                         τὸ Πνεῦμα ὡς περιστερὰν

                niedersteigend in ihn;

                καταβαῖνον εἰς αὐτόν·

Interessanterweise ist der unwichtigere Teil, Jesus „Aufsteigen“ aus dem Wasser noch objektiv geschildert, der wichtigere, die Spaltung (Schize) des Himmels und das Niedersteigen des Geistes in Jesus, jedoch subjektiv.

Man stelle sich einmal die ideale Kameraführung für eine Verfilmung dieser Szene vor: Die Taufe durch Johannes im Jordan in Mk 1,9 und der Beginn des Aufsteigens aus dem Wasser werden ganz kurz aus einer gewissen Entfernung gezeigt. Aber in der Bewegung des Aus-Dem-Wasser-Kommens zoomt die Kamera auf das Gesicht Jesu, in slow motion öffnen sich seine Augen, intensiv blickend. Alsdann wird – am besten aus der Perspektive unter Jesus' Kinn - auf den aufreißenden Himmel geblendet, so dass man den steil empor gerichteten Blick von Jesus und dessen weiteres Aufwärtssteigen aus dem Wasser wahrnehmen kann, und - ihm quasi entgegenkommend - strömt aus der Himmelsöffnung strahlend der Geist in ihn hinein. Dann die Himmelstimme in Mk 1,11: „DU bist mein Sohn, der geliebte! ...


Bei Matthäus hingegen würde die komplette Taufszene am besten aus der Entfernung dargestellt werden. Passend hierzu sagt bei ihm auch die Himmelsstimme: „DIES ist mein Sohn, der geliebte“.

Ich glaube, dass Matthäus seinen Lesern versichern wollte, dass dies wirklich geschehen ist, dass sie dessen versichert sein können. Markus schildert hingegen eine intensive Wahrnehmung, so als wolle er sagen: Was nützt es Dir, wenn ich Dir tausendfach versichere, dass dies „wirklich“ geschehen ist, solange Du nicht selbst die Stimme vernommen hast und Du Dich nicht selbst von Gott als Kind angenommen fühlst.

Die anderen Evangelien vermitteln eine Wahrheit, die man unbeteiligt und ohne Gefahr als solche aufnehmen soll. Das Markusevangelium verlangt von seinen Lesern hingegen aktive Beteiligung, Hinein-Empfinden, intensives Miterleben, vertrauensvolles Standhalten, wo es endgültige Wahrheiten nicht gibt. Ich glaube, dass "Nachfolge Jesu" im markinischen Sinn nicht heißt, daran zu glauben, dass die Himmelsstimme so zu Jesus bei der Taufe gesprochen hat, sondern - dem Beispiel Jesu entsprechend - selbst in eigener Person zu Gott in eine liebevolle Vater-Kind-Beziehung einzutreten. Daher die Subjektivität der Darstellung.

P.S. Wunderbar finde ich die Verben der Bewegung des Sich-Entgegenkommens und Aufeinanderzustrebens von Jesus und dem Geist: ἀνα-βαίνων – auf-steigend und κατα-βαῖνον – nieder-steigend. Eigentlich ein Muss dies auch mit dem gleichlautenden Stamm "steigend" ins Deutsche zu übertragen.

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