Mittwoch, 30. April 2014

Konstruktion von „Welt“ bei Markus


Teil 6 – Abschluss

1. Der Leser wird feststellen, dass er keine nähere Vorstellung von Jerusalem gewinnen kann.

Die Beschreibung von Markus enthält Plätze und Gebäude in und am Rand von Jerusalem (Tempel, Ölberg, Gethsemane, Paläste des Hohepriesters und von Herodes, Golgatha, das Grab, Betanien, das Haus des aussätzigen Simon und das Haus des Paschamahls). Ihre genaue Lage und ihre Entfernungen zueinander bleiben jedoch offen.

via gabrielansley.blogspot.de
2. Markus führt einige Bezeichnungen ein, die auf die vorherigen Abschnitte und geografischen Beschreibungen Bezug nehmen:

- Markus 14,69 - Galiläer (Γαλιλαῖος)
- Markus 15,2 (,9,12,18,26) - Judäer (Ἰουδαῖος)

Der Leser wird diese Bezeichnungen möglicherweise auf die Gebietsnamen beziehen, so dass ein Galiläer als Einwohner Galiläas, ein Judäer als Einwohner Judäas und ein “Ἱεροσολυμίτης“ als Einwohner Jerusalems zu verstehen ist. Die Anklage, Jesus sei König der Judäer, wirft für den Leser daher erhebliche Fragen auf und ist ihm nicht nachvollziehbar.

3. Die letzte Frage, die sich dem Leser stellt, ist, was unter „Israel“ im geographischen Sinn zu verstehen ist (Mk 12,29; 15,32)?

Was folgt nun aus alledem? Deutlich ist lediglich eine Einzelheit. Markus verwendet das „Meer von Galiläa“ als literarisches Motiv ohne jeglichen realgeografischen Bezug. Dieses Ergebnis wird durch zwei weitere Beobachtungen bestätigt:

Zum einen
ist davon auszugehen, dass Markus die von ihm verwendete Bezeichnung „Meer von Galiläa“ erfunden hat.

Die Antike kannte folgende Bezeichnungen für den See von Genezareth

Meer von Kinnereth (4. Mo 34,11; Jos 13,27)
Meer von Kineroth (Jos 12,3)
Meer von Chenereth (Septuaginta LXX Jos 12,3; 13,27)
Meer von Chenera (4. Mo 34,11)
Wasser von Gennesar (1 Mak 11,67)
See Gennesaritis (Strabo, Hist 16.2.16)
See Gennesar (so üblicherweise Josephus, Jüd. Krieg 2.573; 3.463, 506; 3.315–316; Altertümer 5:84; 18:28, 36; Leben 1:349)
See Genesara oder See Tarichea (Plinius der Ältere, Nat. 5.15.71)

Dass der markinische Begriff „Meer von Galiläa“ unbekannt war, erkennt man auch leicht daran, dass Lukas stattdessen den üblichen Begriff „See Genezareth“ verwendet und Johannes in Joh 6,1 erläuternd anführt: „Danach fuhr Jesus weg über das Galiläische Meer, das auch See von Tiberias heißt.“
„See von Tiberias“ war ab dem Ende des 1. Jahrhunderts alsdann auch die übliche Bezeichnung. Sowohl der Talmud, das Johannesevanglium und in zwei Fällen auch Josephus (Jüd. Krieg 3.57, 4.456) verwenden diesen Begriff.

Das Problem besteht letztendlich weniger in der Bezeichnung als „Meer" (Markus konnte sich diesbezüglich auf die LXX beziehen), sondern in der Verbindung mit „von Galiläa“. Vergleichbar wäre die Umbenennung des Bodensee in „Meer der Schweiz“.

Zum anderen setzt Markus das „Meer“ mehrmals in Opposition zum Begriff „Erde“, um ein mythisches Hintergrundbild zu zeichnen.

Mk 4,1: „Und er fing abermals an, am Meer (θάλασσαν· - thalassan) zu lehren. Und es versammelte sich eine sehr große Menge bei ihm, sodass er in ein Boot steigen musste, das im Meer (θαλάσσῃ) lag; er setzte sich, und alles Volk stand auf dem Lande (γῆς - gês) am Meer (θάλασσαν).

Mk 6,47: „Und am Abend war das Boot mitten auf dem Meer (θαλάσσης - thalassês) und er auf dem Land (γῆς - gês) allein.

Die markinische Geografie weicht daher in zwei wesentlichen Punkten deutlich von der Realität ab.

Das „Meer von Galiläa“ des Markus ist nicht als ein ruhiger Binnensee zu denken, sondern als gefährliches maritimes Gewässer.

Die Dekapolis liegt im Markusevangelium nicht jenseits des Jordans, sondern jenseits des Meeres. Zwar gibt es im Markusevangelium auch ein „Land jenseits des Jordans“. Dieses Gebiet ist aber bei Markus von der Dekapolis „weit entfernt“.


Konstruktion von „Welt“ bei Markus

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen