Freitag, 20. Dezember 2013

Die Geheimnisse des Messias im Auge William Wredes


Teil 2 - Wredes Frage und Hinführungen

1) Im Zentrum des christlichen Glaubens steht die Gestalt von Jesus Christus.

via sheepalert.wordpress.com
Armand Arnold erinnerte vor etwa einem Jahr treffend daran, dass „‚Christus’ … keineswegs der Familienname eines gewissen Jesus aus Nazareth“ ist, sondern ein Würdentitel jüdischen Glaubens: „Paradoxerweise ist ‚der Christus’, was uns mit den Juden verbindet und zugleich entzweit. Wir nennen ihn ‚Christus’, sie nennen ihn ‚Maschiach/Messias’. Leider reden wir seit zweitausend Jahren aneinander vorbei, wenn wir vom ‚Christus/Maschiach’ reden. Wir behaupten: Jesus von Nazareth war‘s, sie sagen: Er war‘s nicht!“ Fragen, die sich vor diesem Hintergrund stellen, sind beispielsweise: War Jesus der Christus und wenn ja, welche seiner Eigenschaften und Taten berechtigen zu dieser Annahme? Was glaubte Jesus selbst? Hielt er sich für den Messias und verkündete er dies öffentlich? Was sagen die Evangelisten dazu?

2) Bereits an dieser Stelle erhebt William Wrede wissenschaftlichen Einspruch:

Die Frage nach dem messianischen Selbstbewusstsein Jesu, die die heutige Wissenschaft beschäftigt, liegt den evangelischen Berichterstattern fern, ja sie existiert gar nicht für sie. Von Anbeginn seines Lebens oder seines Wirkens, von seiner Geburt oder seiner Taufe an ist Jesus objektiv für sie der Messias. Damit ist ein entsprechendes Bewusstsein selbstverständlich gegeben, aber der Begriff dieses Bewusstseins und seiner Entstehung fehlt; den Begriff seiner Entwicklung voraussetzen hiesse sogar den Geist dieser Schriftsteller völlig verkennen.

Nach dem Verständnis Wredes gibt also kein Evangelist auf einen Teil der obigen Fragen eine Antwort. Dass Jesus wirklich der Christus ist, versteht sich für jeden Evangelisten von selbst. Ob Jesus sich selbst für den Messias hielt steht, wird von den Evangelisten deshalb nicht hinterfragt und auch nicht erläutert.

Dagegen bieten uns die Evangelisten gewisse Daten für die andere Frage: wann Jesus als Messias bekanntgeworden ist oder sich selbst bekannt gemacht hat. Kann die Wissenschaft überhaupt von hier aus zu sichern Aussagen über das messianische Bewusstsein Jesu gelangen, so müsste es offenbar auf dem Wege der Rückschlüsse geschehen. Ich beabsichtige in der folgenden Untersuchung diese Angaben nebst dem, was mit ihnen zusammenhängt, einer Prüfung zu unterziehen.

Die Beantwortung der Frage, ob Jesus an sich selbst als den Messias glaubte, kann sich daher nur aus der Darstellung der Geschehnisse in den Evangelien ergeben, da die Evangelisten darauf keine bündige Antwort gegeben haben.

3) Beim Studium der Evangelien gilt es nach Wrede jedoch folgende drei Fehler zu vermeiden:

Erstens ist es zwar ein selbstverständlicher Satz für die gesamte historische Kritik, dass das, was uns wirklich [im Bericht der Evangelien] vorliegt, nur die Auffassung eines späteren Erzählers vom Leben Jesu ist, und dass diese Auffassung nicht identisch ist mit der Sache selbst. Aber dieser Satz übt eine viel zu geringe Wirkung.

Ein Zweites hängt hiermit aufs Engste zusammen. Man verlässt vorschnell den Boden des evangelischen Berichts. Man hat Eile ihn für die Geschichte Jesu selbst zu verwerten.

Drittens kommt die Psychologie in Frage. … Und dies ist das Gebrechen, auf das hier hinzuweisen ist … Die Wissenschaft vom Leben Jesu krankt an der psychologischen Vermutung, und diese ist eine Art des historischen Ratens. Deshalb blühen die Geschmacksurteile. Die Zahl der willkürlichen psychologischen Interpretationen von Fakten, Worten, Zusammenhängen der Evangelien in der Literatur ist Legion.

Der kritische Betrachter darf nach der Maßgabe Wredes also nicht vorschnell annehmen, dass das, was Markus sagt, auch zugleich das Selbstbewusstsein Jesus wiederspiegelt. Er hat es auch zu unterlassen, psychologische Vermutungen über Jesus anzustellen.

4) Wrede ging entsprechend der auch noch heute herrschenden Auffassung davon aus, dass das Markusevangelium das älteste Evangelium ist, allerdings ließ er seine genaue Entstehungszeit bewusst offen: „Über das Alter des Markus mache ich keine Voraussetzung.“ Es ist damit das Evangelium, dass am ehesten Antworten auf Wredes Frage geben kann.

Zugleich lehnte Wrede ein theologisches Vorverständnis des Markusevangeliums ab: „Ebenso lasse ich aber auch die Frage nach dem Verhältnis des Evangeliums zu Petrus völlig offen. Bei einer Untersuchung, wie wir sie unternehmen, kann eine Einmischung derartiger Probleme nur schädlich wirken. Alles, was den innern Befund des Evangeliums angeht, ist zunächst für sich zu erforschen.

Die Vorstellung, dass es sich bei dem Markusevangelium um einen Augenzeugenbericht gehandelt haben könnte, lehnte Wrede indes ab: „Dagegen muss eine andere Voraussetzung allerdings gemacht werden: dass die Erzählungen des Markus etwas anderes sind als an Ort und Stelle aufgenommene Protokolle des Lebens Jesu. Das ist ja eine Trivialität.

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