Donnerstag, 30. Mai 2013

Warum sich die Christen für Nero als „Sündenböcke“ eigneten


Teil 6 und Ende - Schlussfolgerung

Die paulinischen Briefe und die Apostelgeschichte belegen, dass die frühen Christen „schändlich“ waren und im Gemeindeleben wie in der Öffentlichkeit „Schandtaten“ begingen, die aufgrund des in vielen Städten entstanden Aufruhrs von Nero und der stadtrömischen Bevölkerung bis zum Jahr 64 zur Kenntnis genommen werden konnten, werden mussten und geeignet waren, eine „Verhasstheit“ der Christen beim römischen Volk zu begründen. Es war daher für Nero plausibel, sie als „Sündenböcke“ für den Brand von Rom im Jahr 64 verantwortlich zu machen. Insoweit schätzte Tacitus die Situation also zutreffend ein.

Überprüfen wir dieses Ergebnis noch einmal ...


Meine Darstellung verwendet Paulus und Lukas natürlich nicht ihrer Intention entsprechend in manchmal mehr oder weniger blasphemischer Weise. Dennoch stehen alle Aussagen, die von mir in Teil 3-5 zitiert wurden, tatsächlich in ihren Werken. Man wird mir auch schwerlich vorwerfen können, dass ich „ihren Sinn verdreht“ oder „sie aus dem Zusammenhang gerissen“ hätte. Ganz im Gegenteil und zu meiner eigenen Überraschung haben Paulus und Lukas diese einzelnen Sachverhalte und Abläufe wirklich so dargestellt. Lediglich meine Wertung dieser Tatsachen und ihre Hervorhebung in dem von mir behaupteten Zusammenhang ist eine andere. Meine einzige wirkliche Abweichung besteht gegenüber Lukas, der die Schuld an jedem einzelnen in der Apostelgeschichte geschilderten öffentlichen Aufruhr (selbst die unter Heiden) fast ausnahmslos „den Juden“ und ihrer „Aufhetzung“ zuschreibt. Es scheint mir aber – als Mutter weiß man schließlich Bescheid –, wie bei einem Streit unter Kindern zu sein. So unschuldig das eine Kind einmal an Ärger, Tränen und Kempelei sein mag und vorbringt: Ich habe nur das und das gesagt und dann hat der gehauen … Wenn immer wieder das Gleiche geschieht, dann ist dieses Kind alles andere als „unschuldig“.

Zu Recht könnte man freilich aus historisch-kritischer Methodensicht einwenden, dass ich „Paulus“ und „Lukas“ in naiver Weise „zu wörtlich“ nehme und das Vertrauen in die historische Zuverlässigkeit vor allem des „Autors an Theophilus“ so weit nicht reicht. Geschenkt ! Alles was ich wollte, war ja zu demonstrieren, dass man die Tacitus-Stelle auf Grundlage von Schriften interpretieren kann, die die wissenschaftliche Mehrheitsmeinung zeitlich vor dem Brand einordnet (Paulus) bzw. die zumindest zeitnah im 1. Jahrhundert verfasst wurden und sich auf die Zeit vor dem Brand beziehen (Lukas). Dies scheint mir zumindest „wissenschaftlicher“ und „quellennaher“, als Schriften aus dem 2. oder gar 3. Jahrhundert mit regional enger begrenztem Blickwinkel zu bemühen.

Vor allem aber geht hierdurch die Freude verloren, die Schriften des Neuen Testaments zu studieren, aus anderen Blickwinkeln wiederzulesen und ihre manchmal erstaunlichen Geheimnisse zu entdecken. In einer Zeit, in der es ermüdende Gewohnheit geworden ist, echten oder vermeintlichen ägyptischen Papyri aus dem 4. Jahrhundert oder anderen „geheimen Evangelien“ historischer Relevanz zuzuerkennen, sind wirkliche Bibelstunden geradezu erfrischend.


Teil 1 - Einführung
Teil 2 - Waren die Christen wirklich unschuldig ?
Teil 3 - „Sünder und Verbrecher aller Art“
Teil 4 - Sinnliche Schwärmer
Teil 5 - Aufrührer auf dem ganzen Erdkreis
Teil 6 und Ende - Schlussfolgerung

2 Kommentare:

  1. Ziemlich ernüchternd, wie Sie die Dinge darstellen. Aber die zitierten Stellen aus den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte einmal auf dem Hintergrund des Tacitus-Zitats zu lesen, öffnet einem einen ganz neuen Blick auf die Anfänge des Christentums und seine Schattenseiten. Sehr erfrischend!

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  2. Recht vielen Dank für Ihren Kommentar. Ist natürlich auch augenzwinkernd geschrieben.

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